Montag, 1. Februar 2010

ePetitionen - Sinn oder Unsinn?

Petitionen an das Parlament einzureichen ist das Privileg jeden Bürgers in Deutschland: Man schickt seine Petition an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, so der klassische Verlauf. Mit dem Einzug des Internets wurde das Petitionswesen in Deutschland etwas modernisiert. Man kann jetzt Petitionen auch im Internet nach persönlicher Registrierung initialisieren und mitzeichnen. Diese ePetitionen können aber auch klassisch per Post oder Telefax gezeichnet werden.

Sinn ergeben ePetitionen mit Sicherheit für unsere politische Führungsschicht: Die ePetitionen sind für sie eine Art Frühwarnradar. Unsere Regierigen brauchen noch nicht mal aktiv den Gang von Petitionen zu verfolgen. Ab 50000 Zeichnungen ist der Bundestag verpflichtet, sich in einer Sitzung mit einer Petition auseinanderzusetzen. Rein Faktisch darf man bestenfalls, wenn sich genug Unmut in Mitzeichnungen kanalisiert hat, eine Anhörung im Bundestag erwarten - leider vermutlich vor leeren Sitzreihen. Danach wächst Gras drüber, oder nicht?

Von dieser Interpretation abweichend könnte man noch versucht sein, einen Nutzen für den Petenten (Einreicher der Petition und damit Erstzeichner) und die Mitzeichner herauszufinden. Der Petent könnte so durch seine Petition an Bekanntheit gewinnen. Beim Vorhaben, diese symbolträchtige 50000-Stimmen-Marke zu knacken haben Mitzeichner die Möglichkeit, den Zeichner nicht nur durch das Mitzeichnen, sondern auch durch eigene Werbevorhaben zu unterstützen. Weil nicht selten eine finanzielle Unterfütterung von Belang für das Petitionsvorhaben fehlt, handelt es sich bei der Werbung zugunsten solch einer Petition in aller Regel nur um Mund-zu-Mund-Propaganda. Das Publizieren und Weiterverbreiten auf Weblogs gehört auch zur Mund-zu-Mund-Propaganda. Und die Mund-zu-Mund-Propaganda gehört wiederum zum Bereich Guerilla-Marketing.

Weil es gerade thematisch paßt, möchte ich noch einen kleinen Absatz zum Guerilla Marketing einfügen: Der Ausdruck stammt zwar aus der Werbebranche; aber das soll uns bitte weiter nicht stören. Was ein Teil der Werbetreibenden sich so für finanzschwache Unternehmen ausgedacht hatte, läßt sich generell auf finanzschwache Unternehmungen übertragen. Es sollte noch hinzugefügt werden, daß das Instrument Guerilla-Marketing zum Werkzeug staatlicher im verborgenen operierender Unternehmungen gehört. Das Celler Loch könnte man auch im weistestgehenden Sinne als Guerilla Marketing bezeichnen (typischerweise sonst nur als false-flag-action einsortiert). Daß dieses "Projekt" mißglückt ist, trägt insoweit zur Sache bei, als daß man hier einen typischen Versuch, Guerilla Marketing zu betreiben, eben deshalb gut studieren kann. In diesen Zusammenhang wollen wir hier an unsere Freunde vom CIA einmal ausnahmsweise rein gar nicht denken. Wir sollten die Techniken des Guerilla Marketing nicht allein den politischen Gegnern, die aufgrund ihrer starken finanziellen Unterstützung im Grunde genommen gar nicht so sehr auf das Guerilla Marketing angewiesen sind, überlassen. Wir sollten die Techniken des Guerilla Marketings bewußter und gezielter nutzen. Abschließen möchte ich mein Ausschweifen zum Thema Guerilla Marketing mit der Bitte, mir deutschsprachige Literatur zum Thema per E-Mail zu schicken. Wenn genug Bücher/Texte zusammenkommen, werde ich die Liste in meinem Weblog publik machen. Versprochen!

Nachdem ich jetzt das Petitieren als eine Form des Guerilla Marketings vollends schubladisiert habe, ist eigentlich schon fast alles zum Thema niedergeschrieben worden. Hinzuzufügen wäre noch, daß man sein Anliegen, welches die ePetition ja zum Ausdruck bringt, gerade über die ePetition einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen kann, falls ein Teil der Massenmedien mitspielt, wovon man im Regelfall aber bitte nicht ausgehen soll. Und über die vorherrschende politische Ausrichtung der Medienindustrie brauche ich mich nicht auszulassen.

Wenn man sich die isolierte Wirkung einer ePetition anschaut, könnte man diese als Akt der Selbstvergewisserung bezeichnen.

Das Betreiben einer ePetition führt im Idealfall dazu, daß sich die Kräfte, die für das Anliegen sind, bündeln und organisieren. Gerade dieser selbst-organisatorische Aspekt sollte man als Positivum bei der Klärung der Frage, ob man eine ePetition auf den Weg bringen will, mit großem Gewicht berücksichtigen.

Das mit dem Gras drüber wachsen - Selbstzitat vom Anfang dieses Blogartikels - möchte ich doch nicht so einfach im Raum stehen lassen. ePetitionen sind als alleiniges, isoliertes Vorhaben zu einem Anliegen in aller Regel sinn- und nutzlos. Das muß man wissen. Die Aussicht eine Lawine loszutreten, ist recht gering. Ist die ePetition hingegen integrierter Bestandteil einer Kette von Vorhaben (Der Ausdruck "Kampagne" ist ein bißchen schäbig) und fügt sich gut ein, dann erhöht sich die Erfolgsaussicht des Anliegens. Des weiteren erhöht Dauerhaftigkeit die Chance, daß das Anliegen durchgesetzt wird... Letztlich liegt es an der eigenen Erwartungshaltung und was man sonst noch unternimmt, ob eine ePetition im Ergebnis als erfolgreich beurteilt werden kann.

Apropos Ergebnis, was läge jetzt nicht näher, als sich ePetitionen der letzten Zeit einmal gemeinsam anzuschauen:
  1. Petition "Internet - Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten"

    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=3860
    Beginn: 22.04.2009; Ende ("in der Prüfung seit"): 16.06.2009; Zeichnungen: 134015 - nur Internet-Zeichnungen.

    Diese ePetition war eingebettet in einer Internet-Bewegung mit massivem Unmut-Charakter, was im gegenseitigem Wechselspiel, sollte man es als dynamischen Prozess betrachten wollen, die Piratenpartei gestärkt hatte. Diese wiederum forcierte diese ePetition. Menschen, die im Internet richtig aktiv sind, kanalisierten ihren Unmut durch diese ePetition. Aber nicht nur.

    Der Mund-zu-Mund-Propaganda-Effekt war enorm: Viele Weblogs nahmen hier aktiv teil, worauf sich ein Lawineneffekt auch ohne Massenmedien entwickelte. Die Massenmedien sind dann auf den schon fahrenden Zug aufgesprungen. Nichtsdestotrotz nahm ein kleiner Teil der Medienwelt schon früh von dieser ePetition Notiz (z. B. hier und hier) - soweit meine persönlichen Erinnerungen.

    Vorankündigung! - Öffentliche Sitzung des Petitionsausschusses

    Am 22. Februar 2010 berät der Petitionsausschuss ab 13:00 Uhr zwei Petitionen zum Thema Internetsperren in einer öffentlichen Sitzung. Link zur Informationsseite.

  2. Petition "Steuerpolitik - Einführung einer Finanztransaktionsteuer"

    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=8236
    Beginn: 06. November 2009; Ende ("in der Prüfung seit"): 25.12.2009; Zeichnungen: 39565 - nur Internet-Zeichnungen. Die 50000er Marke soll dennoch überschritten worden sein, da viele ePetitionen oder vielmehr Petitionen klassisch als Telefaxe und Briefe eingereicht wurden (in der Überzahl?).

    Ein Selbstorganisationseffekt kam nicht sonderlich zum Tragen. Schließlich war diese auch nicht nötig; denn bestehende Großorganisationen haben sich das Medium ePetition zunutze gemacht, namentlich die Partei DIE LINKE und ein Teil der Gewerkschaftsorganisationen. Wenn Teile dieser Organisationen aktiv eine ePetition unterstützen, kann diese nur erfolgreich sein. Die einzige Gefahr, die ich hier sehe, besteht darin, daß man aufgrund der Erfolgsgewißheit zu wenig Engagement aufbringt, was das tatsächliche Gelingen gefährden könnte.

    Auffällig an dieser Petition ist, daß es sich nicht um eine reine Internetpetition handelt. Telefaxe und Briefe trugen ja zum Erfolg bei. Analytisch gesehen kann ich hier konstatieren, daß die Gewerkschaften und die Partei DIE LINKE im Internet angekommen sind und dies z. B. durch diese ePetition unter Beweis stellen.

    Der Aspekt der Selbstvergewisserung kommt bei dieser (e)Petition von Anfang an positiv zum Tragen.

  3. Petition "Arbeitslosengeld II - Abschaffung der Sanktionen nach § 31 SGB II"

    https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=6785

    Beginn: 20.08.2009; Ende ("in der Prüfung seit"): 28.10.2009; Zeichnungen: 6316 - nur Internet-Zeichnungen. Diese ePetition dürfte die 50000er-Marke wohl kaum überschritten haben.

    Diese ePetition war zum Scheitern verurteilt, was das Erreichen der 50000-Stimmen-Marke angeht. Nach dem die ePetition online ging, wurde die ePetition, von Menschen, die der Sache eigentlich (!) wohlwollend gegenüber standen, scharf angegriffen. Mein Eindruck war, daß man dem Petenten als Tatmotiv quasi persönliche Geltungssucht vorwarf und damit die ePetition nichts taugen könne. Man riet also vom Zeichnen der ePetition ab, obgleich kaum ein Mitzeichner die persönlichen Motive kannte noch an seinen persönlichen Motiven interessiert war. Insoweit war das Vorgehen gegen die ePetition nicht nur unsachlich, sondern schlichtweg dumm; gerade dumm deshalb, weil auch das Scheitern einer ePetition ein Signal darstellt, nämlich ein positives Signal für den politischen Gegner. Das hätten sowohl der Petent als auch seine persönlichen Gegner wissen müssen.

    Neben diesen Anfangsschwierigkeiten in der Unterstützerszene, die zum Teil lieber schmollte, kommt noch ein ganz anderer Effekt, der von großem Übel ist, hinzu. Ich bin nicht sicher, glaube aber gelesen zu haben, daß der Petent Mitglied bei der Partei Die Grünen ist. Wundern würde mich das nicht. Verwundert aber bin ich über das idiotische Timing. Die ePetition begann vor der Bundestagswahl und endete nach der Bundestagswahl. Nur ein Holzkopf oder politischer Gegner des Petitionszieles würde einen solchen Zeitplan wählen. Es drehte sich in der Zeichnungsphase so gut wie alles um den Wahlkampf, um die Wahlanalyse und um die Regierungsbildung. Mir fallen angesichts dieses Zeitplanes nur übelste Schimpfwörter ein, aber ich will mich nicht einer Verleumdungsklage aussetzen. Wäre das Petitionsende zwei Wochen vor der Bundestagswahl gewesen oder hätte man die ePetition nur zwei Wochen nach der Bundestagswahl gestartet, würde ich mich nicht ärgern.

    Bei diese ePetition galt zu retten, was zu retten war: Eine Blogbewegung, die sich bei 100 Blogs für die Linke konstituierte, verfestigte sich im Rahmen der Aktion Sanktionen wegbloggen. Diese selbstorganisierende Wirkung stellt zweifelsfrei einen positiven Effekt dar. Für den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit ist eben die Vernetzung und Selbstorganisation essentiell, wie das Beispiel Iran gegemwärtig zeigt. Was Deutschland betrifft, sollte man die Einseitigkeit der bestehenden Medienindustrie als Ganzes nicht unterschätzen!

    Der Akt der Selbstvergewisserung muß bei dieser ePetition kritisch beleuchtet werden: Obschon es Zeit und Nerven kostete, um die Petentendiskussion in den Hintergrund zu drängen, ist dieser Fakt in der Argumentation nicht ausschlaggebend. Ein anderer Punkt hat größere Bedeutung: Ich postuliere eine fehlende Affinität des typischen Hartz-IV-Beziehers zum Internet. Von bildungsfernen Schichten wird bekanntermaßen ziemlich häufig geredet. Das könnte der Grund dafür gewesen sein, daß nur vergleichsweise wenige die ePetition mitzeichneten. Der Mechanismus der Mund-zu-Mund-Propaganda versagte, weil es einfach zuwenig internetaktive, Weblogs lesende und betreibende Hartz-IVler gibt. Ich erlaube mir zu folgern, eine online-Bewegung konnte und kann mit dieser Prämisse nicht in Schwung kommen.

    Blickt man über die ePetition hinaus, dann darf man festhalten, daß sich organisationsmäßig etwas getan hat, daß sich ein Netzwerk herausgebildet und verfestigt hat und dies nur ein Anfang sein kein. Das Kriterium Dauerhaftigkeit wird sich durch weitere Aktionen belegen lassen müssen, um so doch noch das Petitionsziel durchzusetzen. Entscheidend dürfte es sein, Teile der Mittelschicht (oder mitlesender Oberschichtler) von der Sinnhaftigkeit des Petitionsziels zu überzeugen - davon zu überzeugen, daß das Petitionsziel tatsächlich im Interesse aller ist.
Derzeit darf man von einer Mode sprechen: ePetitionen sind aktuell schlicht in Mode. Wie das bei Moden so ist, wird auch diese Mode wieder verebben. Desto häufiger ePetitionen genutzt werden, desto weniger werden die Massenmedien von ihnen Notiz nehmen. Ein besonderer basisdemokratisierender Effekt wird auf ePetitionen gestützt nicht zum Tragen kommen.

Dieser entsteht eher dadurch, daß das Internet mit seinen Weblogs das Medienmonopol bricht, wie es Mario Sixtus irgendwo in einem Videoblog Elektrischer Reporter referierte. Ein Einzelner kann seine Meinung publizieren, ohne der Zustimmung eines anderen zu bedürfen. Das ist schon mal ein Anfang für Basisdemokratie. Es bleibt zu hoffen, daß die Menschen (insbesondere die Unterschicht) in Deutschland endlich anfangen, die eigenen Interessen ernsthaft zu vertreten und sich nicht auf andere zu verlassen. Nur so funktioniert eine Demokratie, die den Namen Demokratie wirklich verdient.

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